Wie, bitte, wird man Astronaut?

Prof. Dr. Ulrich Walter
D-2 Astronaut
Lehrstuhl für Raumfahrttechnik
TU München, Garching

Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Interessanterweise sind es nicht nur junge Männer, die die Astronautik als Berufswunsch im Auge haben. Nach meiner Erfahrung streben fast ebenso viele Frauen diese Karriere an. Sie alle befinden sich irgendwo am Anfang ihrer Berufsausbildung und befürchten, eventuell ein Studium zu wählen, das sich dann später als Hindernis bei den Auswahltests zum Astronauten erweisen könnte. Außerdem weiß keiner so recht, wie und wo Auswahlen stattfinden und wo man sich zu bewerben hat. Antwort auf all diese Fragen soll dieser Artikel geben.

Astronauten weltweit

 

Allgemein sind Astronauten Raumfahrer. Aber nicht alle Raumfahrtnationen nennen sie auch so. Nur in westlichen Ländern spricht man von Astronauten. Die ehemaligen Ostblockländer nennen sie Kosmonauten und die Chinesen haben dafür das Wort Taikonauten geprägt. Früher nannte Frankreich ihre Raumfahrer sogar Spationauten, aber auch dort hat sich inzwischen der Begriff Astronauten eingebürgert. Im heutigen Internet-Zeitalter scheint es begrifflich nur noch Astronauten zu geben.

 

Wer Astronaut werden will kann dies nur als offizieller Angehöriger eines Staates, der aktiv Raumfahrt betreibt. Ein Bürger eines europäischen Landes kann demnach kein NASA-Astronaut werden, solange er nicht zugleich auch US-Bürger ist. Die beliebten und informationsreichen NASA Selection Pages [1] sind daher zwar interessant aber irrelevant für die Frage: Wie werde ich als europäischer Bürger Astronaut? Europa ist weltweit eine Besonderheit, was Astronauten betrifft und das macht die Antwort auf unsere Ausgangsfrage etwas kompliziert. Wir werden aber sehen, dass alles doch nicht so schwierig ist, wenn man die Hintergründe kennt.

Astronauten in Europa

Zunächst sollte man wissen, was für Astronauten es in Europa eigentlich gibt. Die ESA, die Europäische Raumfahrtorganisation, unterhält ihr eigenes Astronautenkorps, die europäischen Astronauten [2] . Es gibt zur Zeit (Feb 2004) 15 aktive ESA-Astronauten – alles Männer! Zu ihnen gehören als Deutsche: Thomas Reiter, Hans Schlegel, Gerhard Thiele und Reinhold Ewald. Ulf Merbold, als wohl bekanntester deutscher Astronaut, ist inzwischen als Aktiver aus diesem Korps ausgeschieden. Bis 1998 verfügte jedes größere europäische Land über nationale Astronauten. In einem europäischen Ministerratsbeschluss wurden dann aber die nationalen Astronauten aller europäischen Länder abgeschafft und ins ESA-Astronautenkorps überstellt – jedenfalls die, die das wollten.

Was bedeutet das nun für künftige Auswahlen? Bis zum Jahre 1998 führte jedes europäische Land in eigener Regie Tests zur Auswahl nationaler Astronauten durch. Diejenigen, die am besten abschnitten, konnten sich dann auch für die ESA bewerben, die jedoch noch einmal eigene Tests durchführte. Es scheint so, als würde dieses zweistufige Verfahren auch beim nächsten Mal so durchgeführt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die ESA innerhalb der europäischen Staaten dann direkt eine Ausschreibung und Auswahl durchführt. Ob der Weg nun über die einzelnen Staaten gehen wird oder nicht, ist noch nicht entschieden.

Wann kommt die nächste Auswahl?

Wann die nächste Auswahl kommt, hängt ganz wesentlich von zwei Faktoren ab: Der Anzahl und dem Alter der jetzigen ESA-Astronauten und dem zukünftigen Bedarf. Die ESA hat mit den derzeit 15 aktiven Astronauten zu viele Astronauten. Aber, viele ESA-Astronauten (darunter alle Deutschen Astronauten) sind heute relativ alt, sie wurden bereits Ende der 80er Jahre ausgewählt. Astronauten tragen zwar kein Verfallsdatum, haben aber ein optimales Berufsalter. Sie sind im Alter zwischen 35 und 50 Jahren am besten für Flugeinsätze geeignet. Die ESA wird also in naher Zukunft nicht umhin kommen, für die ISS neue junge Astronau­ten­kandidaten aufzunehmen und auszubilden.

Wie sieht es mit dem Bedarf aus? Die ersten Flüge zum europäischen Forschungsmodul COF der ISS werden noch von den heutigen erfahrenen ESA-Astronauten bestritten werden. Seit April 2001 bereitet sich eine internationale Crew bestehend aus vier ESA Astronauten (Pedro Duque, Leopold Eyharts, Paolo Nespoli und Thomas Reiter), vier japanische (Takao Doi, Koichi Wakata, Satoshi Furukawa und Aikihido Hoshide) von der NASDA und zwei NASA Astronauten (Nicole Passonno Stott und Stephanie D. Wilson) auf ISS-Missionen vor. Seit der Columbia Katastrophe am 1. Februar 2003 ist dieses Training jedoch ins Stocken geraten.

Die ersten Europäischen Astronauten werden mit Betriebsbeginn (man rechnet heute mit dem Jahre 2006) des COF ihre Arbeit im All aufnehmen. Dabei bedeutet regelmäßig jedoch nicht unbedingt auch viele Fluggelegenheiten. Solange der NASA-Chef Sean O’Keefe wegen Kostenreduktion nur drei Astronauten gleichzeitig auf der ISS zulässt (statt wie geplant sieben, zur Zeit wegen des Ausfalls der Shuttle-Flotte nur zwei Astronauten) werden die Fluggelegenheiten für ESA-Wissenschafts­astronauten nur recht spärlich sein und damit natürlich auch der wissenschaftliche Output.

Langfristig muss die Flugerfahrung der jetzigen Astronauten und die der internationalen ISS Crew auf jüngere Astronauten übertragen werden und dazu braucht die ESA eine neue Astronauten-Generation. Sobald also für die Europäer im Jahre 2006 die wissenschaftliche Forschung an Bord der ISS beginnt, erwarte ich die nächste ESA-Ausschreibung. So lässt sich die Verlautbarung der ESA auf ihrer Web Page [3] „How to become an Astronaut?“ verstehen, dass sie vor 2005/2006 keine neue Auswahl durchführen will.

Welches Studium für die Astronauten-Karriere?

 

Zunächst erst einmal: Um Astronaut zu werden, ist ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik eine sehr gute, aber nicht unbedingt notwendige Voraussetzung. Andererseits wäre ein Germanist wohl fehl am Platze. Was bisher und auch in Zukunft gebraucht wird sind junge Menschen, die sich den Naturwissenschaften, Medizin oder Technik verschrieben haben. Denn wie bei den bisherigen deutschen oder europäischen Shuttle- oder MIR-Missionen werden im COF wissenschaftliche Experimente durchgeführt werden, und da muss man nicht nur wissen, sondern auch verstehen, was man tut. Ideal zur Bewerbung ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium in Chemie, Biologie, Medizin, Physik oder in Ingenieurwissenschaften. Aber auch Kandidaten aus benachbarten Fächern haben eine gute Chance. Meine ehemalige Kollegin Renate Brümmer war bei ihrer Auswahl Meteorologin. Man sollte daher einfach das Fach studieren, das einem am besten liegt. Wichtig dabei ist jedoch: Man sollte in seinem Fach wirklich gut sein, besser noch sehr gut. Flugzeug-Piloten als Kandidaten werden übrigens kaum mehr gesucht werden. Nur der Commander, der Pilot des Shuttles und die Sojus-Kommandanten müssen diese Voraussetzungen erfüllen. Aber das ist alles fest in amerikanischer und russischer Hand, und seitdem die ESA vor vielen Jahren ihre Pläne für den eigenen Shuttle HERMES aufgegeben hat, gibt es für europäische Astronauten-Piloten keinen Bedarf mehr.

Die Auswahl-Voraussetzungen

 

Welches sind nun die weiteren Voraussetzungen, um Astronaut zu werden? Wer alle Details ganz genau wissen möchte, bis hin zu Beispielen von Testaufgaben, der sollte in mein Buch «In 90 Minuten um die Erde» [4] schauen. Für alle, die sich nur einen Überblick verschaffen wollen, sollten zur entsprechenden Web-Page [5] der ESA gehen oder sich das Vorlesungsskript «Astronautenauswahl» von dieser Web Page herunterladen, das Teil meiner Vorlesung «Bemannte Raumfahrt» ist.

Hier eine kurze Zusammenfassung der Grundvoraussetzungen, die anhand eines Fragebogens, die bei der Auswahl jeder Bewerber zugesandt bekommt, abgefragt werden: wissenschaftliche Berufserfahrung, ausgezeichnete Englischkenntnisse und möglichst eine weitere Fremdsprache, gute physische und psychische Kondition, einwandfreie Gesundheit auch der Vorfahren, Körpergröße zwischen 153 und 190 cm, nicht älter als 37 Jahre, europäische Staatsbürgerschaft (ESA-Mitgliedsland). Dass man keine Brille tragen darf, ist übrigens genauso wie die berühmten Plomben in den Zähnen eine alte Mär. Augenfehler bis zu zwei Dioptrien sind zugelassen und praktisch jeder Astronaut hat Zahn-Inlays. Und eine gute physische Kondition bedeutet nicht, wie viele meinen, dass man möglichst Leistungssportler sein muss. Im Gegenteil, zu viele Muskeln sind Astronauten abträglich. In der Schwerelosigkeit braucht man sie ohnehin kaum mehr. Außerdem verbrauchen sie dort nur unnötig Sauerstoff, und ein vergrößertes Herz verursacht bei Unterbelastung meist Herzrhythmusstörungen. Wirklich wichtig ist nur ein guter Kreislauf, der in einer Zentrifuge getestet wird. Dabei sind Beschleunigungen bis zu 8g im Liegen zu ertragen.

Eine hervorragende körperliche Leistungsfähigkeit spielt bei den weiteren Auswahltests ohnehin keine wichtige Rolle. Die wirklich kritischen Stolpersteine sind die harten psychologischen Tests, bei denen es um mathematisch-logisches Denken geht, um die Merkfähigkeit, räumliches Orientierungsvermögen, psychomotorische Koordination und Geschicklichkeit und, ganz wichtig: die Mehrfachbelastbarkeit. Wer diese Tests geschafft hat, fällt bei den darauf folgenden abschließenden medizinischen Tests nur noch mit einer empirischen Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent durch. Sollte man auch die Medizin-Tests bestanden haben, wird man aber noch nicht automatisch Astronaut. Eine Hürde, auf die man leider nicht den geringsten Einfluss hat, kommt erst noch: Der nationale Proporz. Da streiten sich dann Abgeordnete der Länder mit Vertretern der ESA, wie viele Astronauten ihres Landes genommen werden sollen. Dieses wenig ehrenvolle Unterfangen wird in keiner Weise den Fähigkeiten eines Einzelnen gerecht, und ich habe so manchen exzellenten Bewerber gesehen, der meiner Meinung nach ein geborener Astronaut war und trotzdem an dieser letzten Hürde scheiterte.

Raumfahrt ohne Astronaut zu sein!

 

Aber, warum Astronaut werden, wenn die Raumfahrt mit der zukünftigen ISS und mit vielen unbemannten planetaren Missionen auch auf der Erde interessante Berufe bietet? Wer auf diesem Wege «Live» mit dabei sein will, der sollte gezielt Luft- und Raumfahrttechnik studieren und Raumfahrtingenieur werden. Ausgangspunkt ist meist das Studium «Maschinenbau», in dem man sich in höheren Semestern auf die Luft- und Raumfahrt spezialisiert. Zum Beispiel bietet diese Studienrichtung die Fachhochschule Aachen und die Hochschule Bremen an. Ausschließlich Flugzeugbau wird zusätzlich noch an den Fachhochschulen Hamburg und München angeboten. Klassischerweise geht der Weg zur Raumfahrt aber über die Universitäten: Die TU München, TU Berlin, TU Braunschweig und TU Dresden bieten Studiengänge in Luft- und Raumfahrttechnik an. Die Universität in Stuttgart hat gar eine eigene Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik. Weitere Informationen findet man unter diesem Link oder am Institut für Luft- und Raumfahrt Berlin.

Ob Astronaut oder Raumfahrtingenieur, Raumfahrt ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Berufung. Und so bietet die Raumfahrt für all diejenigen, die mit Herz und Seele dabei sind, ein Betätigungsfeld, in dem man all seine Visionen ausleben und einen wichtigen Beitrag zur Zukunft der Menschheit leisten kann.